Dienstag, 4. November 2014

Unser Hausmeister Erich Honecker




Als ich gefragt wurde, ob ich was zum Thema Mauerfall und Wende machen könnte, dachte ich, die ganzen hard facts sind ja eh gerade in aller Munde, also gibt’s heute einfach mal eine etwas persönlichere Sicht auf dieses historische Datum.
Am 9. November 1989 habe ich meinen neunten Geburtstag gefeiert. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit meinen Eltern abends vor dem Fernseher saß und ganz gebannt die Bilder von der Grenzöffnung gesehen habe und ich dachte wirklich, dass alle meinen Geburtstag feiern.
Damals war ich natürlich noch viel zu klein und konnte das alles gar nicht richtig verstehen.
Ich bin direkt an der Mauer in Berlin Mitte in der Ackerstraße großgeworden. Für mich war das ganz normal, dass unsere Straße an einer Mauer endete und da Soldaten mit ihren Gewehren patrouillierten. Ich fand es nur doof, dass man uns nicht einfach besuchen konnte, weil man ohne Passierschein nicht so nah an die Mauer durfte. Wir haben ganz oben gewohnt und von meinem Fenster aus, konnte ich in den Westen schauen. Meine Eltern haben mal ärger bekommen, weil ich im Kindergarten irgendwas gemalt habe, was wie ein CocaCola Logo aussah, als dann herauskam, dass ich das von einer Werbetafel auf der anderen Seite der Mauer gesehen habe, war das damit wohl geklärt. Ich dachte auch immer Erich Honecker sei unser Hausmeister. Damals sahen irgendwie alle alten Männer für mich aus wie Erich Honecker, so auch unser Hausmeister aus dem Kindergarten. Überall, in allen öffentlichen Gebäuden, hingen diese Bilder von Erich Honecker und meine Mutter erzählte mir mal die Anekdote, wie wir in die Post kamen und ich zu so einem Bild gesagt hätte: schau mal unser Hausmeister hängt hier auch. Ich glaube ich habe erst an dem Abend der Wende mitbekommen das Erich Honecker eigentlich ein wichtiger Politiker war.
Das traumatischste für mich im Zusammenhang mit der Wende, war die bittere Erkenntnis, dass ich für immer Jungpionier bleiben sollte, also das heißt, dass ich niemals das rote Halstuch bekomme und damit zu den Großen, zu den Ernst-Thälmann Pionieren, gehören durfte. Das verfolgt mich unbewusst immer noch, nicht zu den Großen dazu zugehören.
Mit der Wende begann eine Zeit des Schämens, ich weiß nicht ob es eher etwas mit dem aufkommen meiner Pubertät zu tun hatte, aber ich weiß noch, im Westen war alles schöner, schicker, leuchtender und toller und ich wollte auf gar keinen Fall als Ossi entlarvt werden. Meine Sachen waren hässlich und im Osten war alles grau und dunkel. Heute ist es andersrum, ich vermisse richtig das Berlin der 90er – mein dreckiges graues zerfallenes Berlin-Mitte mit den Hinterhof-Keller-Künstlerpartys und den leeren Straßen mit den orangefarbenen Laternenlicht und den riesigen Altbau Wohnungen, wo Leninbüsten als Kerzenständer standen.
Vielleicht hatte das auch was mit dem Aufkommen meiner Jugendzeit zu tun – aber die Straßen Berlins rochen nach Freiheit und unendlichen Möglichkeiten, nach Punk und Kunst, Philosophie und Poesie.

Das verrückteste für mich an der Wende war die radikale Vernichtung mit allem was auch nur annähernd irgendwas mit der DDR zu tun hatte – somit wurde nach und nach nicht nur der Ort meiner Kindheit ausradiert, sondern auch die Dinge und Produkte aus meiner Kindheit. Und so geht es ja nicht nur meiner Genration, sondern auch der meiner Eltern und meiner Großeltern.
Nun möchte ich gerne mal die Frage in den Raum werfen:
Wie kann man auf den Spuren seiner Vergangenheit wandeln, wenn all die Dinge, die Erinnerungen auslösen können, verschwunden sind? Also jetzt mal in Anlehnung an Marcel Prousts „ Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, was bedeutet das für ein Leben, wenn die Auslöser fehlen, die bestimmte Erinnerungen wecken können???
Diese Frage kann ich nicht beantworten, aber vielleicht kann man ja mal darüber nachdenken...