Donnerstag, 7. August 2014

Flucht aus dem Alltag



Nachdem ich das letzte mal über die Langeweile sprach,
möchte ich heute über den Rausch sprechen und zwar über den alltäglichsten Rauschzustand in unserer Gesellschaft: der Betrunkenheit.
Tja, Teufel Alkohol: Verführer, Zerstörer und Retter in der Not.
Also irgendwie kennt das doch jeder, man trifft sich mit Leuten abends zu einer illustren Runde in einer Bar und plötzlich bestellt da einer was Alkoholfreies, besorgte Blicke, die Frage ob alles OK sei, ob man krank sei... usw. usw. Ist es schon so normal zu trinken, dass es besorgniserregend ist, wenn einer nicht trinkt? Und wenn ja, wie sind wir nur dahin gekommen?

Wir alle wollen jemand ganz Besonderes sein, besondere Dinge tun, besonders gut aussehen, besonders kreativ sein, irgendwie aus der Masse rausstechen, erkannt werden. Doch genauso, wie wir das Bedürfnis haben ein Einzelner zu sein, uns von der Masse abzugrenzen, genauso leiden wir auch daran, an diesem Getrenntsein, getrenntvon den anderen und der Welt und irgendwie am Ende ist man ja doch immer allein. Und da kommt uns doch Dionysos, der griechische Weingott, als Sorgenbrecher ganz gelegen. Nach ein paar Bierchen/Weinchen, Schnäpschen sieht die Welt doch schon ganz anders aus. Denn im Rausch überwinden wir diese Trennung – im Rausch löst sich das Individuum auf, man gerät ganz Außer-sich und taucht ein in ein warmes Wir-Gefühl. Angst und Rausch sind meistens entgegengesetzte Pole, in der Angst ziehen wir uns in uns selbst zurück, deshalb spricht der Existenzialismus so gerne von der Angst und im Rausch öffnen wir uns der Welt und den Anderen. Im Rausch ist der Mensch in der Lage leichter Kontakt und Freundschaften zu schließen. Nietzsche spricht vom dionysischen Rausch, der die Grenzen der Individualität sprengt zu einem erhöhten Kraftbewußtsein und zu einer Erweiterung des Raum-Zeitgefühls führt, das Verhältnis zur Realität verändert und die oft ersehnte Selbstvergessenheit bringt.
Für Nietzsche äußert sich der Mensch im Rausch, singend und tanzend, als Mitglied einer höheren idealen Gemeinschaft: er hat das Gehen und Sprechen verlernt und noch mehr: er fühlt sich verzaubert und er ist wirklich etwas Anderes geworden.
Und Berlin ist die Stadt, die Alkoholiker gebiert. So stark hier der Druck der Individualität ist, so immense ist auch das Angebot sich Selbstvergessen zu dürfen. Doch das Angebot ist schon längst zu einem Gebot geworden. Willst Du ein Mitglied unserer lustigen Runde sein, dann trink! Aus dem abendlichen Vergnügen, wird schon bald Gewohnheit und aus der Gewohnheit eine Abhängigkeit.
Sucht lässt sich ganz allgemein definieren als die körperliche oder seelische Abhängigkeit von einem bestimmten Reizauslöser, dessen Wirkung eine so wohltuende Befriedigung verschafft, dass die Person nur noch an der kontinuierlichen Wiederholung dieser Stimulation trachtet, deren Aussetzen aber als unangenehm empfunden wird und zu Entzugssyndrom führt. Die Regelmäßigkeit ist also die Voraussetzung zur Entstehung einer Sucht. Die Sucht besteht, wenn eine Unterbrechung oder Beendigung der Gewohnheit zu einer spürbaren Beeinträchtigung körperlicher und geistiger Vermögen führt. Und ein fortgeschrittenes Stadium der Sucht ist erreicht, wenn das Rauschmittel gar keine Euphorie mehr freisetzt, sondern lediglich die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Normalbefindens ist.
Man kann wenigstens drei Gruppen von Süchtigen unterscheiden: Exzentriker, Melancholiker und Deserteure. Die Exzentriker sind Menschen, die nach dem höchsten Genuß oder nach Erkenntnissen streben, die über das normale Maß hinausgehen. Die Melancholiker leiden oft an Depressionen und verwenden Drogen als Medizin. Und die Deserteure sind die Menschen unter uns, die sich den Anforderungen der Umwelt nicht gewachsen fühlen und im Drogenrausch ihren Problemen entfliehen wollen. Während die Melancholiker und Deserteure vor den deprimierenden Inhalten ihres Bewußtseins flüchten und nach Ausschaltung suchen, sucht der Exzentriker eine Erweiterung des Bewußtseins, wobei in unserem Fall die Selbsterkenntnis nicht wirklich durch den Alkoholrausch zu erlangen ist.
Also an alle Deserteure des Alltags, an die Umnebelten der Nacht, wir können uns auch ohne Alkohol lieben! Und wenn nicht dann fällt mir nur einer dummer Spruch ein:
Wo früher unsere Leber war, ist heute eine Minibar. Prost!